Montag, 12. September 2011/Süddeutsche Zeitung Nr.210 / R7
Mein Tag
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Schinden
und lächeln
Boxtrainer Thomas Schuhmacher
nimmt auch Charles Schumann ran
Die Kundin hat einen straffen Zeitplan, also beginnt die Woche sehr früh für Thomas Schuhmacher.
Der Wecker klingelt um 4:45 Uhr. Kalte Dusche, doppelter Espresso, eine Banane - um 5:30 Uhr steht
Schuhmacher in der Trainingshalle des Fitnessstudios Body Factory in Sendling. Magdalena, die
Kundin ist Chefsekretärin. Sie will vor der Arbeit auf Touren kommen. Und weil die 32-Jährige Punkt
acht im Büro sitzen muss - natürlich geduscht und geschminkt -, bleibt ihr nur die Stunde von halb
sechs bis halb sieben Uhr morgens.Aber in aller Hergottsfrühe boxen? “Magdalena hat einen
unbändigen Willen”, sagt Thomas Schuhmacher. Er kennt ihre Geschichte, und seit seine Schülerin
ihm einmal ein altes Röntgenbild ihres Kopfes gezeigt hat, ist seine Hochachtung noch gestiegen.
“Alles voller Metallschienen und Schrauben. Unglaublich”, erzählt der Boxtrainer. Magdalena hatte vor
fünf Jahren einen schweren Motoradunfall. Ein Auto hatte ihr die Vorfahrt genommen, sie flog 40 Meter
durch die Luft. Trotz Helm war ihr Gesicht zertrümmert. “Beim Boxen kann sie sich voll auspowern und
vergisst den seichten Dauerschmerz für ein paar Stunden”, sagt Schuhmacher. Die Müdigkeit ist längst
verflogen, wenn Thomas für den nächsten Kunden um sieben Uhr, dieses Mal im Boxwerk in der
Maxvorstadt, die Pratzen überstreift und den Beteiligungsmanager mit Kommandos wie “Rechte
Gerade, Linker Seithaken” Schlagtechniken einüben lässt. “Die Leute schinden sich bis zum
Gehtnichtmehr, aber sie verabschieden sich mit einem glücklichen Lächeln”, erzählt der Boxer, der
selbst durch eine harte Schule ging. Er wuchs in der DDR auf, kam schon mit dreizehn in das
Leistungszentrum Frankfurt/Oder und boxte in der Junioren-Nationalmannschaft der DDR.“Damals gab
es schon mal Motivationsprobleme. Heute kommen die Leute hoch motiviert zu mir und wollen am
liebsten gleich in den Ring steigen.” Wie etwa Stefan und Niko, die eine Trainingsgemeinschaft gebildet
haben und um 11 Uhr in der Body Factory warten. Der eine ist Friseur, der andere coacht
Führungskräfte, und beiden haben vor allem ein Ziel: den Körper fit zu halten und den Kopf frei zu
bekommen. Thomas Schuhmacher leitet sie zunächst an, Imitationsübungen zu machen, eine Art
Schattenboxen. Dann treten Stefan und Niko im Sparring gegeneinander an, und der Boxtrainer
korrigiert die Bewegungsabläufe. Per Videoanalyse zeigt er ihnen wo die Deckung offen blieb,
Schrittfolgen durcheinander kamen und Schläge zu Luftnummern wurden Am Mittag fährt der Trainer
nach Hause, kocht sich eine Kleinigkeit und legt sich eine Stunde aufs Ohr. Um 15:30 Uhr muss
Schuhmacher wieder topfit sein, denn dann kommt ein Schüler, der hart rangenommen werden und
selbst austeilen will: Charles Schumann. “Charles ärgert sich tierisch, wenn er einen abkriegt”, erzählt
der Coach. “Er entwickelt dann ein Aggressivität, die ich sehr schätze”. Zweimal wöchentlich trainiert
Münchens bekanntester Barkeeper im Boxwerk, und Schuhmacher zollt ihm hohen Respekt. ”Er wird
am Donnerstag 70. Bewundernswert, wie der seinen Mann steht”. Am liebsten würde Schumann immer
gleich kämpfen, erzählt der Trainer. Doch der legt Wert darauf, dass ein Termin pro Woche für
Dehnungs- und Kraftübungen reserviert ist. Charles Schumann scheint es ihm zu danken. In das
Online-Gästebuch des Boxtrainers hat der Barmann jüngst einen selbstbewusten Eintrag gemacht: “Ich
fühle mich in großartiger körperlicher Verfassungund, werde Thomas im Ring bald ernsthaft
gefährden.”
Michael Ruhland